Tiny Tina und ihr Talent
Tina Rupprecht alias Tiny Tina – Profiboxerin
Mit zwölf Jahren begann Rupprecht mit Kickboxen, mit 14 stieg sie aufs Boxen um und wurde 2009 erstmals deutsche Jugendmeisterin im Papiergewicht. Seitdem kämpft sie nicht nur um den begehrten WM-Gürtel, sondern auch gegen die Gender Pay Gap, also die Gehaltslücke im Vergleich zu Männern. Während Boxprofis Millionengagen kassieren, müssen sich Frauen mit fünfstelligen Beträgen vergnügen.
Filigrane Fußarbeit, muskulöse Oberarme, die Hände zu Fäusten geballt, angriffslustig – so sieht Tina Rupprecht im Wettkampf aus, besser bekannt unter dem Spitzamen „Tiny Tina“, da sie nicht größer ist als zarte 1,53 m. Wenn man sie privat außerhalb des Rings sieht, würde man aber kaum über sie rückschließen, dass ihre größte Leidenschaft dem Boxring gilt: Zierlich, blond, von kleiner Statur und rein gar nichts Burschikoses an sich. Der Boxsport wird klischeehaft der Männerwelt zugeschrieben. Aber Tina ist das perfekte Gegenbeispiel dafür, dass diese Sportart nicht nur der Männerdomäne angehört. Tina selbst bezeichnet sich zudem als sehr ausgeglichene, harmonieliebende Person. Also eigentlich das komplette Gegenteil von dem, welche Eigenschaften man mit ihr im Ring assoziieren würde. Zudem geht sie einem klassischen Beruf nach, denn die Augsburgerin ist Lehrerin. Von 2012 bis 2018 studierte sie neben dem Boxen Lehramt für Realschulen mit Sport als Hauptfach an der Universität Augsburg. Danach beschloss sie sich komplett auf ihren Sport zu konzentrieren. Die Profiboxerin lebt und trainiert in ihrer Heimatstadt Augsburg.
Tinas Talent und wie sie zu ihrem Spitznamen kam
Den ersten Kontakt zu dieser eher ungewöhnlichen Sportart kam die Augsburgerin erst im frühen Jugendalter. Genauer: Mit zwölf Jahren, als sie einen Freund zum Kickboxen begleitete. Doch sofort wusste Tina, dass diese Sportart die ihre war – sozusagen Liebe auf den ersten „Kick“. Nach knapp eineinhalb Jahren wechselte Tina dann zum klassischen Boxen in den Boxclub Haan, dem sie bis zum heutigen Tag treu geblieben ist. Sie entpuppte sich als disziplinierte Sportlerin, die mit ganzem Herzblut bei der Sache ist. 2013 wechselte die Augsburgerin dann nach Querelen mit dem Deutschen Boxsport-Verband in die Profiliga bei einer ansehnlichen Bilanz von insgesamt 30 Siegen, lediglich 5 Niederlage und einem Unentschieden.
Zu ihrem Spitznamen kam Tina damals durch Zufall bei einer Convention in Aserbaidschan, an der der Boxclub Haan 2017 teilnahm. Dort wurde sie von einer amerikanischen Boxerin eben immer nur „Tiny Tina“ genannt – also „winzige“ Tina – aufgrund ihrer geringen Körpergröße. Doch der Titel ist Programm und „Tiny“ ihr zweiter Vorname, auch wenn sie im Ring dafür ganz groß ist. Aller Anfang ist schwer: Tina opferte jede freie Minute ihrer Freizeit für ihre sportliche Leidenschaft als ebenso ihr Erspartes, um die Wettkämpfe überhaupt finanzieren zu können. Eine Zeit, die sie selbst auf die Probe stellte, wie ernst es ihr mit der Sportlerkarriere nebenher war. In dieser Zeit, haderte Tiny Tina sogar mit sich selbst und spielte mit dem Gedanken dem Boxen gänzlich den Rücken zuzukehren. Doch ihr Trainer Alexander Haan schaffte es, sie davon zu überzeugen, noch ein weiteres Jahr dabei zu bleiben, nicht alles hinzuschmeißen. „Er sah damals wohl schon in die Zukunft“, scherzt Tina Rupprecht im Interview. Und tatsächlich ging es innerhalb dieses einen magischen Jahres steil bergauf, was ihre sportliche Karriere neben ihrem Studium anbelangte – das war im Jahr 2015. Nachdem sich Tina im wahrsten Sinne „zurückgekämpft“ und einige kleinere Wettkämpfe absolvierte. 2016 sicherte sich die Athletin zunächst den Silver-Female-Titel des WBC im Minimumgewicht (bis 44,6 kg) und ein Jahr später, im Mai 2017, gewann sie die Intercontinental Championships gegen eine Venezolanerin.
Der erste „richtige“ Titel und die Titelverteidigung
Kurze Zeit später war dann der Titel zum Greifen nah! Die Megachance endlich international den WBC zu gewinnen war gekommen. Die bis dato amtierende Weltmeisterin Momo Koseki beendete ihre Karriere 2018, somit hieß Tinas Gegnerin für diesen Kampf nun Yokasta Valle aus Costa Rica. Der Kampf fand am 16. Juni 2018 in Deutschland (Unterschleißheim) statt und die Halle war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Am Ende konnte die Augsburgerin den WBC-Titel im Minimumgewicht für sich gewinnen.
Drei Jahre später, 2021 war ein Vereinigungskampf angesetzt, ebenfalls gegen die Costa Ricanerin Valle. An dessen Sieger sollte außerdem die IBO-Weltmeisterschaft vergeben werden. Der Megafight wurde seitens des Managements ihrer Gegnerin kurzerhand abgesagt. Ein „Schlag ins Gesicht“, denn Tina fieberte diesem Tag Monate davor entgegen, absolvierte über 50 Sparrings und war in bester Kampfverfassung. Begründung der Absage? Die kam nie, zumindest nicht persönlich. Letzten Endes erfuhr sie es eher über die Medien von Costa Rica: die IBF-Weltmeisterin müsse sich erst einmal eine angeordnete Pflichtverteidigung gegen eine andere Gegnerin aus Japan bestreiten. Das nahmen Tina und ihr Team nicht für bare Münze. „Eine billige Ausrede“, entgegnete Rupprecht dazu. Laut offiziellem IBF-Regelwerk stehen solche Kämpfe immer hinten an. Gott sei Dank ein Einzelfall.
2022 kämpfte die Augsburgerin gegen Rocio Gaspar aus Peru, viele ihrer Gegnerinnen kommen aus Südamerika, da sich der Sport gerade bei Frauen großer Beliebtheit erfreut. Auch diesen Fight konnte Tina klar für sich entscheiden und somit den WBC-Titel beibehalten. Am 25. März 2023 verlor sie in Fresno den Kampf gegen die US-Amerikanerin Seniesa Estrada, doch schon im Folgejahr erobertet sie sich den Titel zurück, allerdings in einer anderen Gewichtsklasse als zuvor, dem Atomgewicht (1).
Verletzungen inklusive
Die größten Schmerzen kommen manchmal erst nach dem Kampf. So wie im Dezember 2019, kurz vor Weihnachten: Tina Rupprecht, hat gerade einen Kampf in Hamburg gewonnen und eine Platzwunde am Kopf. Sie geht in die Umkleide, ein Sanitäter kommt ihr bereits mit Nadel und Faden entgegen und näht die Wunde. Sechs Stiche, direkt am Haaransatz. Ohne Betäubung. Das gehört eben zum Boxsport dazu.
Ihren jüngsten Fight absolvierte die Profi-Boxerin am 24. November 2024: Tina (32) stand an diesem Sonntag im Vereinigungskampf gegen die Japenerin Eri Matsuda (30) im Ring mit der Aussicht auf den Weltmeistertitel des WBC, WBO und des WBA. In einem sagenhaften Kampf gelang es ihr diesen Titel im Atomgewicht für sich zu sichern, wie noch keinem anderen in der deutschen Box-Szene – weder Max Schmeling, noch Henry Maske. Und obendrauf wurde noch der Gürtel des Box-Magazins „The Ring“ vergeben. Dieser wird lediglich dann vergeben, wenn es sich laut Expertise um einen Kampf mit den beiden besten Boxern der Welt handelt – diese Voraussetzungen waren hier gegeben. Zuletzt wurde dieser Titel 1930, sprich vor 94 Jahren, an den deutschen Boxer Max Schmeling vergeben. Nach dem fulminanten Sieg rang die Augsburgerin nach Worten:
„Ich bin sprachlos. Geschichte. Die Spannung fällt nun ab und der Traum ist wahr geworden“
Der Weg bis zum heutigen Tag war nicht immer einfach. Aber Tina ist dankbar für jede Erfahrung in ihrer Laufbahn und wäre heute nicht diejenige, die sie heute ist. Man lernt in ihren Augen nie aus und sie würde diesen Weg, der oft steil war, dennoch immer wieder gehen. Der Boxsport ist eine Persönlichkeitsentwicklung. Die ambitionierte Sportlerin freut sich schon auf jede weitere Herausforderung, die da noch auf sie wartet.
„Dieses Gefühl ist einfach unbeschreiblich, das kann dir keiner nehmen! Ich bin total geflasht nach Hause gekommen und überglücklich, endlich das erreicht zu haben, wofür ich schon so lange gekämpft habe!“
(1) Bei dieser Gewichtsklasse muss man nochmals 1,5 kg leichter sein als im Minimumgewicht.

